"Unheimliche Orte in Baden-Württemberg" heißt das Buch, das jüngst im J. Berg Verlag erschienen ist. Gesammelt hat sie Benedikt Grimmler. Der gebürtige Franke und studierte Germanist lebt seit einigen Jahren am schönen Bodensee. Und hat schon immer ein Herz für die vergessenen Pfade (ein weiteres Buch von ihm), dunklen Seiten und "Lost Places". So kam Grimmler vor der Postkartenidylle des Bodensees auf die Idee, sich auf die Suche zu machen nach den grusligen Orten im Land. Sein reich bebildertes Buch erkundet sie und der Autor nimmt uns mit zu zerstörten Klöstern, verfallenen Burgen und bizarren Felsen, zu hexenden Frauen und betrügerischen Pfarrern, zu Mördern und Scharlatanen – und ihren dunklen Geschichten. Aber was fasziniert ihn eigentlich genau an diesen Ecken, wo wenig Licht hinfällt? Ein Gespräch.

LOKALMATADOR.DE: Herr Grimmler, was fasziniert Sie an unheimlichen Orten?

Benedikt Grimmler: Ganz persönlich mag ich an vielen unheimlichen Orten das Zweideutige, dieses „Vielleicht ist doch etwas Wahres dran…“. Ich sehe mich zwar als eher nüchternen, rationalen Menschen, aber mich interessieren vor allem ungelöste Rätsel, weshalb ich zum Beispiel Geschichten bevorzuge, die keine endgültige Auflösung, ein offenes Ende haben.  

LM: Was meinen Sie, woher kommt das Bedürfnis sich zu gruseln?

Grimmler: Das hat wohl verschiedene Gründe, die natürlich auch individuell verschieden sind. Neben vielem anderen spielen auch Traditionen der (schwarzen) Romantik mit, als man sich wieder für Gespenster, Volksglauben und ein angeblich düsteres Mittelalter zu begeistern begann. Dieses Bedürfnis nach einem Gegenstück zur nüchternen Aufklärung oder heute zur technisch durcherklärten Welt haben wir offenbar noch immer. Wie tief beides noch in uns steckt, können wir schon allein daran überprüfen, dass wir einen unheimlichen Ort tagsüber ohne Bedenken, nachts aber mit einem deutlich mulmigeren Gefühl besuchen würden.  

LM: Wie recherchiert man so ein Buch?

Grimmler: An sich nicht viel anders als „gewöhnlichere“ Sachbücher auch: Bibliotheken, Archive, natürlich sind alte Sagenbücher, aber auch Ortschroniken oft ergiebig, manchmal auch kuriose Zeitungsmeldungen oder Begegnungen vor Ort, die einen erst auf etwas aufmerksam machen.     

LM: Haben Sie alle Orte auch selbst besucht?

Grimmler: An sich ist das Pflicht und mir auch persönlich recht wichtig, weil man die Atmosphäre vor Ort ja miterspüren will, aber auch, um eventuelle zwischenzeitliche Veränderungen (einen Abriss, eine Renovierung o.ä,) mitzubekommen, weshalb ich das immer so halte, auch weil ich für gewöhnlich die Fotos selbst mache. Das große „Aber“ in diesem speziellen Fall war leider die Corona-Pandemie, während der das Buch entstand, so dass ich zu meinem eigenen Bedauern, um das Erscheinen nicht auf lange Sicht zu verzögern, zwar viele, aber leider nicht alle Orte aufsuchen konnte. 

LM: Oft verbirgt sich hinter einer gruseligen Geschichte eine wahre Begebenheit. Wie viel historische Wahrheit steckt hinter einem Kapitel in Ihrem Buch?

Grimmler: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Kapitel über verbürgte historische Ereignisse oder nachgewiesene Verbrechen, aber auch viele über Sagenorte. Bei letzteren gibt es oft zwei Sorten: Geschichten, die erst scheinbar exakt und plausibel klingen, sich aber dann als reine Erfindung herausstellen, und den umgekehrten Fall, dass sich hinter eher märchenhaften Erzählungen ein wahrer Kern verbirgt.        

LM: Wieso genau 75?

Grimmler: Das hat einfach damit zu tun, dass als übersichtliche Unterteilung fünf Regionen mit jeweils ungefähr 15 Orten ausgewählt wurden, um eine möglichst breite geographische Verteilung zu haben, ohne auszuufern.  

LM: Sie sind als Franke ja selbst quasi ein „Neigeschmeckter“. Gibt es als Beobachter Eigenheiten der Baden-Württemberger, die Ihnen aufgefallen sind?

Grimmler: Es ist naturgemäß immer schwierig, „die“ Baden-Württemberger pauschal zu charakterisieren. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass eine der ersten Fragen, die man hier bei Begegnungen gestellt bekommt, fast immer „Und, was schaffet Sie so?“ ist und viele mindestens drei Unternehmen ihres Ortes nennen können. Das entspricht natürlich etwas dem Klischee – so ist das eben mit pauschalen Urteilen – zeigt aber auch den eigenen Leistungswillen, was ja berechtigt ist – und weshalb die Baden-Württemberger umgekehrt, nach meinem Eindruck, zum Beispiel eher selten jammern. Für die Gespenster im Ländle gilt das allerdings nicht…     

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Haben Sie einen Lieblingsgruselort unter den Ausgewählten?

Grimmler: Das Ortgespenst von Winzingen, den „Holzbrockeler“, finde ich schon sehr faszinierend: Eine verbürgte historische Persönlichkeit, ein richtiger Dorftyrann, der nach seiner Beerdigung – wenig überraschend – ein reichlich bösartiger Untoter wird, der weiterhin seine ehemaligen Untertanen quält. Wenn es einen Geist im Bundesland gibt, dem man nicht begegnen möchte, dann ihm.

Welcher Ort hat Sie besonders beeindruckt?

Grimmler: Es gibt mehrere Orte, die selbst ohne Hintergrundwissen allein vom Aussehen und weil man hier quasi die Vergangenheit direkt erspürt, eine ganz eigene Wirkung irgendwo zwischen unheimlich, romantisch und mystisch haben. Dazu gehören etwa die Anhäuser Mauer, der Heidelberger Heiligenberg, die Kapelle von Wendel im Stein oder die Heidenhöhlen am Bodensee.  

LM: Und welchen können Sie ohne schlechtes Gewissen der ganzen Familie nahelegen?

Grimmler: Das ist gar nicht so einfach, da tatsächlich die meisten unheimlichen Geschichten, echte und erfundene, eher tragisch oder gar böse enden. Das gilt an sich auch für Blaubeuren, aber die Sage von der schönen Lau nimmt immerhin einen versöhnlichen Ausgang und mit dem Blautopf, dem Kloster und dem Urzeit-Museum hat man gleich drei Highlights in unmittelbarer Nachbarschaft. 

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