Ein ganz schaffiges Örtle ist das. In Neckargartach, wo früher Arbeiter der unterirdischen Salzstollen von Heilbronn wohnten, pulsiert heute das Leben im Multikulti-Quartier. Im einen Eck Klein-Istanbul, in anderen Winkeln arabische und russische Geschäfte. Das gibt’s zwar nicht nur hier, aber hier auf engem Raum und besonders intensiv. Der Stadtteil von Heilbronn ist traditionell ein Arbeiterort: Die Mieten sind erschwinglicher, und die Industrie sitzt quasi drumrum. Und – die Neckargartacher Hauptstraße ist eben ein Sammelsurium an Läden der verschiedenen Nationalitäten.

Ein Stück Italien

Und natürlich gibt’s auch ein „piccolo“ Stück Italien: Die Bar und Pasticceria Napoletana Pina könnte genauso auch in Neapel, Rom oder Florenz sein. Vor der Arbeit kommen vorwiegend Männer schnell vorbei, trinken „un caffè“, also einen heißen und süßen Espresso, und essen „un beigné“, ein klitzekleines süßes Teilchen. Die kommen ab morgens um vier aus dem Ofen. Der Pasticcière Massimo ist ein Künstler: Mini-Törtchen, Crème-Röllchen mit Mascarpone, Blätterteig mit Vanille. Und Barrista Sandro macht den besten Espresso Heilbronns dazu.

Der geplante Innovation Park Artificial Intelligence in Heilbronn-Neckargartach

MEIN LÄNDLE/ipai/MVRDV

Ganz groß: Die Architektur der Zukunft

Bei Kletterern und Katzen

Fahrradfahrer sind in Neckargartach immer herzlich willkommen – am schnellsten geht’s dorthin über den Neckartal-Radweg, direkt am Neckar­gartacher Flussufer entlang. Rund um den Ort hat’s tatsächlich viel Grün und wenig Steigung, also echt familientauglich. Ich geh mit Ihnen jetzt aber über die Neckargartacher Brücke ins Industriegebiet. Wo nämlich früher mal Energie gewonnen wurde, nützt man die Kräfte heute ganz anders: An Seilen steigen Kletterer an die 20 Meter in die Höhe. Ganz ehrlich, ich tät mich das nicht trauen, so hochsteigen ist echt ne Nummer. In der Kletterarena, in einer ehemaligen Industriehalle, gibt’s lange, kürzere, leichte und superschwere Aufstiegsrouten. Egal ob Anfänger oder Fortgeschrittene, jeder findet seine Strecke. Oder er geht in die nebenliegende Boulderhalle. Dort hangeln sich die Sportler ihren Weg entlang an einer Art breitem Gesteinsmassiv. Die Fallhöhe ist gering, der Boden gepolstert. Damit aber keine Routine aufkommt, werden die einzelnen Griffe regelmäßig umgeschraubt … ist das nicht ideal, um sich im Winter Bewegung zu verschaffen!

Modelleisenbahn-Miniaturwelt

Genau hinter der Kletterhalle wartet eine ganz andere Welt. Da geht es definitiv auch um Streckenvielfalt. Seit bald 30 Jahren stehen dort Schienen und blühende Landschaften im Mittelpunkt. Die Macher: allesamt „alte Stromer“, die noch immer schwer auf Draht sind. Aus einer Freizeitgruppe entstanden, treffen sich die Modelleisenbahner immer im Mittelpunkt zum Arbeitseinsatz. Sonntags ab 10 Uhr freuen sie sich aber auf Besucher. Ein riesiger Raum, auch eine alte Industriehalle, ist ausgebaut als Modelleisenbahn-Miniaturwelt. Alles elektronisch ausgeklügelt, und dennoch geht ohne echtes Handwerk nichts. Während der eine lötet, baut der andere an Häuschen, ein Dritter konzentriert sich auf die Technik. Wer sich auf ein Päuschen dort freut: Kaffee und Hefe­zopf gibt’s auch.

Höchste Dichte an Hunden in BW

Wussten Sie, dass Heilbronn die höchste Dichte an Hunden in Baden-Württemberg hat? Problem: wenn Herrchen oder Frauchen überfordert sind, landen leider viele Tiere aus dem Unterland im Tierheim. In Neckargartach steht eines der größten, schönsten und modernsten Tierheime im ganzen Land. Und das in einer ehemaligen Arbeiter-Ortschaft. Wildkatzen oder Stubentiger: in der Franz-Reichle-Straße ist jeder Charakter daheim – mal länger, mal kürzer. Die Tiere werden sofort entwurmt – die Mitarbeitenden wissen genau, was zu tun ist. 200 Miezen am Tag plus aktuell 65 Hunde und Kleintiere versorgen – das heißt jede Menge Arbeit. Jeden neuen Hasen oder Hund, jede Katze und Co. stellt das Tierheim-Team mit Namen und Daten ins Internet. So können Interessenten schon vorab eine Auswahl treffen. Denn natürlich wollen alle bald ein neues Zuhause finden – was die Not im Tierheim lindern würde. Ein Paradebeispiel für ehrenamtliches Engagement hier in Neckargartach. Nicht nur tierlieb sind sie, sondern ein echt schaffiges Team.

Modelleisenbahn FBSG (Freizeit- und Betriebssportgemeinschaft) EnBW Heilbronn

MEIN LÄNDLE/Modelleisenbahn FBSG EnBW Heilbronn

Ganz klein: Modelleisenbahnen.

Arbeitersport im Arbeiterort

Schon von klein auf legen sich interessanterweise die Neckargartacher gegenseitig auf’s Kreuz. Und das mit Schwung und Tradition. Seit 1924 stehen sich die Athleten auf der Matte gegenüber. Ringen, ein klassischer Arbeitersport im ehemaligen Arbeiterort, ist hier ungemein populär. Die Red Devils sind der einzige Heilbronner Bundesliga-Verein. Frank Stäbler, einer der erfolgreichsten deutschen Ringer, beendete nach vielen Erfolgen bei den Red Devils im Team seine Karriere. Ein Idol für alle. Das große Neckargartacher Potenzial: die vielen kleinen roten Teufel. Die Jüngsten sind grade mal vier. Im Umkreis von 15 Kilometern will jedes Kind Ringer werden. Ein aktuell noch bekannter Name in Ringerkreisen: Eduard „Eddi“ Popp hat in Rio und in Tokio an den Olympischen Spielen teilgenommen. Fast jeden Abend trainieren die Ringer in der Römerhalle. Vielleicht können Sie als Talentscout heute schon erkennen, wer morgen ein großer Ringer wird?
Schatten von gestern, Hirn von morgen

KZ-Friedhof

Die wachsende Industrie in Heilbronn hat auch mit dem dunklen Kapitel der Neckargartacher Geschichte zu tun: Im alten Industriegebiet gibt es einen KZ-Friedhof. Die Gedenkstätte, ein Mahnmal der Unmenschlichkeit, liegt ziemlich genau oberhalb des damaligen Lagers, wo Regime-Gegner und mutmaßliche Verbrecher täglich vom Lager bis zur Zwangsarbeitsstätte in den Heilbronner Salzstollen laufen mussten. Von den bis zu 1200 Häftlingen sind hier 246 beerdigt, es sollen aber wesentlich mehr gewesen sein. Die Einheimischen waren den Gefangenen immer sehr zugewandt: Die Neckargartacher haben Brotmarken gesammelt, Brot dafür gekauft und den Häftlingen heimlich zugesteckt, Zigaretten weitergegeben und am Straßenrand Äpfel deponiert.

KI-Park

Jetzt aber auf in die Zukunft: Denn direkt zwischen zwei großen örtlichen Industriegebieten steht bald das Hirn von morgen. Der deutsche KI-Park kommt nach Neckargartach; 5000 Arbeitsplätze sollen entstehen: Die Anlage mit einer großen Plaza soll eine Mischung aus KI-Erlebniswelt und einem Besucher- und Schulungszentrum werden. Noch sind Archäologen mit Ausgrabungen dort beschäftigt, aber bald soll Baustart sein.

Das kleine schaffige Neckargartach: ein beispielloses Zukunftsprojekt. Mir hat’s dort sehr gefallen – ich hoffe, Ihnen gefällt es auch!