"Eine verschlossene Welt“, so charakterisierte der schwäbische Poet August Lämmle dereinst den Schwäbischen Wald, wo er selbst einige Jahre als Lehrer sein Brot verdiente. Unheimlich sei es da vor gut eineinhalb Jahrhunderten zugegangen, bevor mit der Eisenbahn auch dort die moderne Zeit Einzug hielt. Beste Voraussetzungen also für eine romantische Wanderung auch im Winter, zumal mit den Feenspuren einige Premiumwege diese idyllische Landschaft durchziehen.

Die Feenspuren 

Außer den Drei Schluchten gibt es im Schwäbischen Wald noch einen weiteren Wander- und zwei Spazierwege unter dem Motto „Feenspuren“: 

  • Die Waldklingen sind vom historischen Murrhardter Stadtzentrum aus erreichbar. Durch die Franzenklinge kommen Sie zu den Wasserfällen im Hörschbachtal. Für die knapp elf Kilometer und je 430 Meter Auf- und Abstieg rund vier Stunden einkalkulieren. 
  • Am Wanderparkplatz Oberer Riesberg bei Murrhardt startet der Spazierweg ins Felsenmeer. Auf den 6,5 Kilometern warten zahlreiche alte Grenzsteine und markante Felsen, die sich über zweieinhalb Stunden Gehzeit und 180 Höhenmeter Auf- und Abstieg verteilen. 
  • In den Römerwald führt wiederum ein Weg ab Welzheim. Für knapp sechs Kilometer mit 120 Metern Auf- und Abstieg gut zwei Stunden einplanen. Hier warten nicht nur die Spuren des Limes und des einstigen Kastells, sondern auch imposante Mammutbäume und eine sagenumwobene Quelle in der Nähe der hier noch ursprünglichen Lein. Mensch und Tier sollen in ihr Heilung von allerlei Gebrechen gefunden haben.

► Hier geht’s zum Freilichtmuseum Römisches Ostkastell in Welzheim

„Drei Schluchten“ nennt sich der längste der Feenspuren, an dem sich landschaftliche, kulturelle und historische Perlen in Hülle und Fülle aneinanderreihen. Nicht zuletzt für Familien ist er ein Vergnügen. Denn in den engen Tälern und Klingen unterwegs zu sein, mit ihren vielen Wasserfällen und mächtigen Baumveteranen, die über plätschernde Bächlein gestürzt sind, das macht einfach allen Spaß, egal, ob klein oder groß, jung oder alt. Dort hat sich der Zauber der vorindustriellen Zeit noch fast unverfälscht erhalten.

Video von der Feenspuren-Wanderung bei Welzheim

Es fällt buchstäblich kinderleicht, sich in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückzuversetzen, die Lämmle beschreibt: „Er galt als eine düstere und arme Waldgegend, wo man vor Räubern nicht sicher sei, tagsüber wenig anderes höre als das Klopfen des Spechtes und nachts nichts als das Schreien der Eulen, wo man die Dörfer mit der Laterne suchen müsse und die Häuser und die Köpfe mit Brettern vernagelt seien.“ Damals nicht gerade ein Loblied, aber heute sehnen sich viele nach genau dieser Abgeschiedenheit.

Wanderer unterwegs auf schmalem Pfad

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

Wildromantisch und abenteuerlich geht es auf dem schmalen Pfad durch die drei Schluchten zu.

Romantik 2.0

Auch wenn natürlich keiner unter die Räuber fallen möchte, das Dasein der Spitzbuben von damals verklären wir heute romantisch und betrachten ihre Verstecke im einst dunklen Tann mit wohligem Schauern. Vor drei Jahrhunderten zählte freilich der damals fast undurchdringliche Schwäbische Wald, genau wie der Schwarzwald oder Teile der Alb, zum „Diebsland“, in dem sich die Außenseiter der Gesellschaft herumtrieben, weil sie im „normalen Leben“ keinen Platz fanden. Auch der Name der „Geldmacherklinge“, die wir auf dieser Tour durchqueren, lässt schon ahnen, dass es in diesem Landstrich nicht immer völlig gesetztes konform zugegangen ist.

„Ein freies Leben führen wir,
ein Leben voller Wonne …
Der Wald ist unser Nachtquartier.
Bei Sturm und Wind hantieren wir.
Der Mond ist uns’re Sonne.“

(Aus: Friedrich Schiller, Die Räuber)

So munter wie Friedrich Schiller in seinem ersten Drama seine „Räuber“ singen lässt – „… ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne …“ –, dürfte es allerdings selten zugegangen sein. Die Regel war wohl eher der Überlebenskampf. Immerhin mit der Chance, durch Wilderei wenigstens etwas zu essen zu haben. Aber sobald es kalt wurde, war’s vorbei mit der Gemütlichkeit und so mancher „Vagant“ suchte Schutz bei Bauersleuten, die eher mit den „Gesetzlosen“ sympathisierten als mit der Obrigkeit. Auch von denen gab’s im nicht mit Reichtümern gesegneten Schwäbischen Wald einige.

Hund geht über ein Brücklein im Bannwald

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

In diesem Winkel des Schwäbischen Waldes herrscht Idylle pur – auch wegen der romantischen Brücklein, die über Edenbach, Wieslauf und Strümpfelbach führen.

Die drei Schluchten, in denen die „Outlaws“ der Vergangenheit Schutz und Zuflucht suchten und durch die diese herrliche Wanderung führt, stehen heute selbst unter Schutz: Für Pflanzen und Tiere ist die Natur an Edenbach, Wieslauf und Strümpfelbach ein wertvoller Lebensraum. Und da die ersten beiden sogar seit mehr als vier Jahrzehnten als Bannwald ausgewiesen sind, greift der Mensch nicht mehr ins Leben und Sterben der Bäume ein. Umgestürzte Bergahorne, Ulmen, Eschen und Weißtannen schaffen eine Szenerie voll herber Romantik. Seltene Moosarten und rare Pflanzen wie der Waldgeißbart oder die Weiße Pestwurz komplettieren das Bild, und wer etwas Glück hat, sieht Wasseramseln, Gebirgsstelzen oder Zaunkönige über die Bächlein mit ihren malerischen Gumpen schwirren.

Dichters Lieblingsplatz

In den Mittleren Keuper und den Stubensandstein, die diese Region geologisch prägen, konnten sich auch kleine Rinnsale gut einkerben und so die typischen Klingen und Schluchten schaffen. Die Bäche wirtschaftlich zu nutzen, bescherte nur beschränkten Erfolg; so reicht die Geschichte der verträumt an der Wieslauf liegenden Klingenmühle zwar 300 Jahre zurück, aber so richtig rentabel war sie wegen ihrer Lage in der tiefen und engen Schlucht nie.

Die Klingenmühle an der Wieslauf

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

Die Klingenmühle an der Wieslauf zählte zu den Lieblingsorten des Arztes und Poeten Justinus Kerner.

Sowohl Getreide als auch Baumstämme mussten mühselig mit Eseln hinunter – und Mehl und Bretter ebenso aufwendig wieder hochtransportiert werden – deswegen heißt der steile Pfad von und zur Straße zwischen Rudersberg und Welzheim heute noch „Eselsweg“. In die Literaturgeschichte ist dieser lauschige Ort dennoch eingegangen: Der Mediziner und Dichter Justinus Kerner, der von 1812 bis 1815 als Oberamtsarzt in Welzheim wirkte, soll sich hier besonders gerne aufgehalten haben. Dort stiegen in ihm auch die Verse seines Gedichts „Der Wanderer in der Sägmühle“ auf: „Dort unten in der Mühle, saß ich in stiller Ruh und sah dem Räderspiele und sah dem Wasser zu ...“

Ruhm-Ruinen

Einer der einst berühmtesten deutschen Werbeslogans kommt einem derweil nur ein paar Meter weiter in den Sinn: „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen!“ Das verfallene Wasserkraftwerk an der Wieslauf versorgte nämlich über Jahrzehnte das Welzheimer Werk des berühmten Haushaltsgeräteherstellers, von dem nichts mehr übriggeblieben ist als eine Handelsmarke, mit Strom. Und so ist das zerbröckelte Gemäuer auch ein Symbol für die Ruinen einstigen Ruhms …

Hund balanciert auf Baumstamm über dem Edenbach im Auwald

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

Die Auwälder an Edenbach und Wieslauf sind schon seit vier Jahrzehnten als Bannwald ausgewiesen. Der Mensch greift dort nicht mehr in den Kreislauf der Natur ein.

Wer die Wieslauf so munter dahinplätschern sieht, vermag sich kaum vorzustellen, welch bedeutender Transportweg sie dereinst war: Dort schoss ab 1746 rund ein Jahrhundert lang Brennholz für Stuttgart und Ludwigsburg ins Tal der Rems und dann weiter in Richtung Schwabenmetropole. 1,20 Meter lang waren die Scheiter, denn für die Langholzflößerei, wie sie etwa im Schwarzwald üblich war, eignete sich der Fluss nicht. Geschlagen hatte man die Bäume im Schwäbischen Wald, an einem Damm am Ebnisee warf man das Holz ins Wasser, öffnete den Schieber und schickte das Brennmaterial auf die Reise. Talabwärts wachten alle 50 Meter sogenannte „Stiefelknechte“ mit langen Stangen darüber, dass kein Holz hängen blieb, aber auch nichts geklaut wurde. Eine knappe Woche war das möglich, dann musste das Wasser neu angestaut werden.

Das Ende der Flößerei wiederum stand in engem Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahn: ab 1861 bekam Schorndorf Anschluss an das Schienennetz, ab da reiste das Holz auf Karren zum dortigen Bahnhof.

Schienen der Wieslaufbahn im Wald

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

Die schwierigen geologischen Verhältnisse sorgten auch beim Bau der Wieslaufbahn für große Probleme: Welzheim war die letzte Oberamtsstadt, die einen Schienenanschluss erhielt.

► Ein Freizeit-Tipp: Schwäbische Waldbahn (von Stuttgart in den Welzheimer Wald)

Steile Sache

Bis die modernen Verkehrsmittel auch den Schwäbischen Wald erreichten, dauerte es freilich nochmal fünf Jahrzehnte. Welzheim war die letzte königliche Oberamtsstadt, die zu Schienen kam. Überlegt und debattiert hatte man darüber lange. Die einen wollten die Gleise von Lorch oder Schwäbisch Gmünd aus dorthin führen, die anderen plädierten für eine Trasse ab Backnang. 1905 entschied man sich indes für die Streckenführung ab Schorndorf über Rudersberg – und die war gar nicht so einfach. Zwischen Oberndorf und Breitenfürst wartete eine Steigung, die größer ist als die auf der Geislinger Steige (die ersten T3-Lokomotiven schafften das gar nicht). Zur Überwindung der Schluchten, die uns nun so große Wanderfreude bereiten, waren drei Viadukte nötig, die später ebenso wie die gesamte Strecke unter Denkmalschutz gestellt wurden. Kurz bevor 1911 der erste Zug fuhr, erzwangen starke Regenfälle und damit verbundene Erdrutsche noch eine Trassenverlegung.

Video: Die Schwäbische Waldbahn – Neubeginn auf alten Gleisen

Wer heute mit der Museumsbahn unterwegs ist oder wie wir an der Strecke entlang wandert und sie immer wieder mal kreuzt, der ahnt von den Anfangsschwierigkeiten nichts und kann sich der Nostalgie hingeben. – In der Nähe des einstigen Bahnhofs Laufenmühle findet sich übrigens heute das „Erfahrungsfeld eins + alles“ der Christopherus Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Kinder und Erwachsene können dort in die facettenreiche Welt der Sinne eintauchen und über sich und andere staunen.

Dass Ihnen entlang der vielen naturbelassenen Wege und Pfade durch die drei Schluchten tatsächlich eine Fee oder gar Räuber über den Weg laufen, ist eher unwahrscheinlich. Aber eins steht fest: Der Schwäbische Wald hat hier seine ganz eigene Magie und wird Sie bestimmt in seinen Bann schlagen.

Karte mit Tourenverlauf Drei-Schluchten-Wanderung

MEIN LÄNDLE, Jürgen Gerrmann

Der Drei-Schluchten-Premiumwanderweg in der Übersicht

Premiumwanderweg drei Schluchten

Start und Ziel: Wanderparkplatz Bockseiche bei Welzheim
(GPS 48.877936, 9.620278)
Strecke: etwa 14 km
Gehdauer: ca. 6 Stdn.
Höhenunterschied: je 400 Meter Auf- und Abstieg
Schwierigkeitsgrad: Grundkondition und im Winter gutes Schuhwerk erforderlich

Tipps in der Region

Welzheim ist Mitgliedsort der Deutschen Limesstraße
Die römischen Militärlager (Kastelle) in Welzheim bilden einen Teilabschnitt des UNESCO-Welterbes Limes
Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald