Wer Stärkung und Erholung unter Bäumen sucht, muss im Ländle nicht weit gehen. Bis heute sind fast 40 Prozent der Landesfläche von Wäldern bedeckt. In die Wellnesskur in hiesigen Baumwelten kann man sich am Bodensee wie im Schwäbischen Wald, im Odenwald wie in den Auwäldern der Oberrheinebene begeben.
Unberührte Urwälder gibt es in Baden-Württemberg heute keine mehr. Doch wer sich in den Wald aufmacht – und sei es nur für ein Stündchen –, der lässt sich nach wie vor auf eine Urtümlichkeit ein, wie sie jenseits der Zivilisation immer noch zu finden ist. In dieser „Gegenwelt der Kultur“, da sind sich Philosophen, Biologen und eben auch Mediziner einig, können wir uns noch von einer Ursprünglichkeit berühren lassen, die zu unseren eigenen Quellen der Kraft zurückführt. Dazu braucht es weder ein besonderes Equipment noch langwierige Vorbereitungen. Wald, Licht und Geräusche regen zur ganzheitlichen Besinnung an: den weichen Waldboden spüren, alle Nuancen des Grüns wahrnehmen, dem Wind in den Wipfeln und Zweigen lauschen. Die sauerstoffreiche Waldluft mit ihrer harzig-würzigen Note wirkt dabei ganz von alleine gesundheitsfördernd: Terpene, Bestandteile der ätherischen Öle von Bäumen und Pflanzen, stärken zum Beispiel das Immunsystem.
Waldbaden
Der japanische Forscher Professor Qing Li, einer der wichtigsten Experten fürs Waldbaden, empfiehlt als optimale Dosis: mindestens zwei Stunden Zeit im Wald verbringen und dabei etwa zweieinhalb Kilometer Wegstrecke zurücklegen.
Dabei ist Wald nicht gleich Wald. Es gibt Tage, da zieht es einen in die Traufwälder der Schwäbischen Alb, wo sich der Blick zwischen dem satten Grün der Buchenwälder ins Offene weiten kann. Und es gibt Tage, da ist der dunkle Schwarzwald wie gemacht, um sich in tiefer Waldesstille selbst ein bisschen verloren zu gehen.
Gerade das Heilklima im Hochschwarzwald ist prädestiniert zum „Waldbaden“, da Nadelbäume wie Tanne, Fichte und Schwarzwälder Höhenkiefer besonders stark Terpene verströmen. Die Botenstoffe, die zwischen den Bäumen als chemische Signale fungieren, regen Abwehrfunktionen an – auch beim Menschen. Obendrein sorgen die Bäume für ein gutes Klima und filtern Staub nahezu vollständig aus der Luft.
Lindgrüner Schimmer der Bäume
Beim Waldbaden muss man keinen Baum umarmen, aber man kann. Wer mit wachen Sinnen in den Wald schaut, riecht und hört mehr. Er wird alle paar Bäume weit Entdeckungen machen, die den Geist beflügeln, die Psyche beruhigen und die Seele berühren. Anders als das bläuliche Bildschirmlicht, dem sich die sogenannte Indoor-Generation unserer Zeit von früh bis spät aussetzt, wirkt der lindgrüne Lichtschimmer unter dem Blätterdach der Buchen wohltuend. Die „Grünkraft“ oder viriditas, wie sie die heilkundige Klosterfrau Hildegard von Bingen (1098–1179) ausgemacht hat, wird in den Buchenwäldern auf der Schwäbischen Alb spürbar. Hier verlangsamt sich der Schritt von alleine, wenn man zwischen den grauen Stämmen die Höhe erklimmt und am Albtrauf entlang über Stock und Stein wandert. Wussten Sie etwa, dass Buchen Herzwurzler sind und ein Wurzelgeflecht entwickeln können, das der Größe ihrer Krone entspricht? Geradezu waghalsig trotzen die Eichen an exponierten Stellen ganz nah am Abgrund den rauen Winden und bleiben selbst bei extremer Witterung standhaft. Das regt im Vorbeigehen zum Nachdenken an.
Jetzt beginnt die Jahreszeit für üppige Waldbäder, am besten im Tannenwald, der die meisten Terpene versprüht. Genaugenommen tut aber jeder Wald gut und hat auch in den Rheinauen einen ganz eigenen Charakter zu bieten. Bei Rastatt kann man im Frühjahr den Bärlauch auf feuchten Auwaldwiesen schon riechen, bevor man ihn sieht. Und im Herbst entwickelt er einen ganz besonderen Reiz, wenn etwa im Taubergießen bei Rust der Nebel die mistelbehangenen Bäume umhüllt und vieles im Vagen lässt. – Im Wald kann man zu jeder Jahreszeit in eine Welt eintauchen, die im Märchen oftmals als Schwelle zur Anderswelt beschrieben wird – und die jeden reich beschenkt.
Buchtipp: Waldbaden - Orte zum Kraft tanken in Baden-Württemberg
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Loslassen unter Bäumen
Wem der Sinn nach Birken ist, deren Charisma fürs Loslassen steht, dem wird in den oberschwäbischen Riedwäldern das Herz aufgehen. Am Federsee leuchten die weißen Stämme mit ihrer schwarzen Borkenzeichnung schon weit über die Ebene des Moorgebiets. Mit Kindern bietet sich eine Runde durch den benachbarten Wackelwald an. Auch der Bannwald im Pfrunger-Burgweiler Ried bei Ostrach ist für Birkenfreunde empfehlenswert. Eine kurze, aber ausnehmend schöne Birkenallee findet sich am Mindelsee, mitten im Naturschutzgebiet zwischen Möggingen und Markelfingen in der Nähe des Bodensees.
Apropos Bodensee: Am Bodanrück sind nachhaltig bewirtschaftete Wälder zu finden, die neben dem See und den Obstplantagen zwar nicht sonderlich im Fokus stehen, aber tatsächlich dank natürlicher Verjüngung viel Abwechslung bieten. Alte, teils geborstene und doch nach wie vor lebendige Weiden und Silberpappeln direkt am Seeufer im Auwald Aachried beim Campingplatz Schachenhorn nahe Bodman-Ludwigshafen zeigen eine erstaunliche Vielfalt an Lebensformen. Sie spiegelt sich in der Vogelwelt, die dort in Astlöchern, Nischen und dem Schilf einen geschützten Rückzugsort findet.
Langlebigkeit der Bäume
Noch immer können Bäume etwas, was wir nicht können: mehrere Hundert Jahre alt werden. Im Schönbuch ist vereinzelt die herausragende Wellingtonie zu finden. König Wilhelm I. ließ Samen des Mammutbaums aus Amerika kommen und 1864 in der Wilhelma in Stuttgart aussäen. Die Jungpflanzen wurden später an ausgewählte Forstämter verteilt. Auch im Schwäbischen Wald finden sich solche nunmehr über 150 Jahre alten Baumriesen, die an ihrer kegelförmigen Krone leicht zu erkennen sind. Dort tragen die Weinberge vielerorts „Waldhauben“, in denen die Eiche dominiert. In den Tälern der Bühler oder Schmerach ist der Waldbewuchs noch eine Spur wilder. Dort kann das Waldbad zum Abenteuer werden, wenn man nur dafür bereit ist.
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Ganz gediegen unter alten Bäumen wandeln lässt sich’s direkt vor den Toren Stuttgarts im Glemswald. Ursprünglich diente er als Jagdkulisse rund ums Bärenschlössle und wurde entsprechend gehegt und gepflegt.
Knorrige Eichen führen uns heute eine Zeitspanne vor Augen, die unsere eigene Lebenserwartung um ein Drei- bis Vierfaches übersteigt. Eine Eiche, so heißt es, kommt 300 Jahre, bleibt 300 Jahre und geht 300 Jahre. Sie zeigt sich in dem stark besuchten Naherholungsgebiet mit majestätischen Kronen auf altehrwürdigen Stämmen. Diese Baumpersönlichkeiten von Rang spenden rund um drei Seen in dem Waldpark Schatten und Ruhe und versinnbildlichen bleibende und wachsende Werte.
Heiterkeit unter Bäumen
Im Odenwald ist es die Lärche, die besonders im Herbst mit ihren goldgelben Fahnen ins Auge fällt. Sie prägt diesen Landstrich seit der Aufforstung vor 200 Jahren. Mit den guten Geistern, die den Sagen zufolge zwischen den weit schwingenden Zweigen hausen, bringt die Lärche eine gewisse Eleganz und Heiterkeit in die Wälder. Zarte Nadeln sprießen jedes Frühjahr aufs Neue und verbreiten im Spätsommer gelb verfärbt Indian-Summer-Feeling, bevor sie zu Boden fallen.
Der Odenwaldpfad rund um Walldürn-Gottersdorf klärt darüber auf, wie es zur „Odenwälder Mischsaat“ kam: Jahrhundertelang war der Laubwald regelrecht ausgeräumt worden, bis nur noch ein kläglicher Rest Birken stand. Anfang des 19. Jahrhunderts gingen Forstleute mit der Anpflanzung von Nadelbäumen dagegen vor und brachten so auch die Lärche als Lichtbaumart und Pionierbaum aus den südländischen Alpen ein.
Bäume liefern Holz
Einst waren es die Mönche, die den Flüssen in die Schwarzwaldtäler gefolgt sind und mit Klöstern wie in Hirsau den Boden bereitet haben für erste Ansiedelungen in dem tiefen Wald. Später sind die stärksten Tannen auf den Flüssen aus dem Schwarzwald heraus für den Schiffsbau nach Amsterdam geflößt worden. Im Tonbachtal bei Baiersbronn lässt sich der Geschichte der großen Abholzungen buchstäblich nachgehen: Auf dem Weg zum Ursprung des Tonbachs erzählen Infotafeln von den massiven Eingriffen durch jahrhundertelange intensive Holznutzung – und zeigt sich heute ein Fichten- und Tannenwald, wie er seit der Aufforstung so typisch ist für den Schwarzwald. Der Plenterwald auf dem Kienberg bei Freudenstadt führt lebendig vor Augen, wie sich der Wald durch nachhaltige Bewirtschaftung selbst verjüngt.
Durch den Nationalpark Nordschwarzwald rückt der Wald als Naturereignis in den Blickpunkt, bei dem alles Vergehende immer auch die Grundlage für neues Leben schafft. Dieser fortwährende Wandel im Wald zeigt sich auch auf dem Kaltenbronn. Wenn heftiger Wind in die schiffsmasthohen Tannen fährt, die das Moor mit dem Kolk umringen, dann ist ein Brausen in der Luft, das an die Brandung eines Ozeans erinnert. Auf dem Wurzelweg in Herrenwies oberhalb des Murgtals heftet sich der Blick mit jedem Schritt bergwärts fester auf den Boden. Dieses lebendige Gedächtnis des Waldes ist seit urgeschichtlichen Zeiten geprägt von den geologischen Prozessen, die hier in Millionen von Jahren den Buntsandstein geschaffen haben.