Dem Winter mal so richtig den Kampf ansagen. Väterchen Frost den Garaus machen. Und den Frühling gebührend willkommen heißen …vor allem im Norden von Baden-Württemberg, in der Kurpfalz, und den angrenzenden Regionen ist das ganz normal – bei den Sommertagszügen. Dank dieser Tradition ist der große, brennende Schneemann zum Symbol für den Frühlingsanfang geworden. Kaum ein Kind an einer kurpfälzischen Schule, dass aus diesem Anlass nicht schon einmal verkleidet als Käfer, Blume oder Maler durch die Straßen seines Heimatortes gezogen ist. 

Sommertagsumzug

HMV

In Hockenheim und anderswo herrscht an Sommertagszügen ein buntes Treiben.

Ein Jahr ohne Frühlingsmaler, brennenden Schneemann oder Sommertagstecken können sich viele im Ländle nicht mehr vorstellen. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn das Lied „Schtrih, Schtrah, Schtroh - Der Sommerdag is do“ wieder durch die Straßen hallt.  Doch woher kommt der Brauch, den Winter zu verbrennen und den Frühling willkommen zu heißen eigentlich?

Lange Tradition

Vermutlich hat die Tradition keinen religiösen Ursprung. Das Winterende feierten wohl schon unsere prähistorischen Urahnen, und auch im Mittelalter wurde rund um die Osterzeit der Frühling willkommen geheißen. In Mosbach ist das Tragen von Sommertagsstecken von Kindern bereits vor 400 Jahren bekannt. Vieles an dem Brauch stammt wohl auch aus einer Zeit, als die Vorratskammern zum Ende des Winters leer waren und Menschen betteln gehen mussten, um die karge Zeit bis zum Frühling zu überstehen. Dass Sommertagszüge seit Jahrhunderten Brauch sind, ist vielerorts historisch belegt. Bereits Lieselotte von der Pfalz (1652 - 1722) erwähnt in einem Brief von 1696, wie die Heidelberger Bürger gemeinsam den Winter vertreiben. Und auch in Bruchsal belegt ein Ratsprotokoll von 1792, dass zwei junge Burschen als Sommer und Winter verkleidet durch die Straßen der Stadt zogen, begleitet von einer Gruppe Schülern.

Winter_Kostüm_Sommertagszug_Heidelberg_Rathaus

Sabine Arndt

Auch der Winter hat beim Sommertagszug Heidelberg seinen Auftritt.

Zeitweise verboten

Traditionell finden die Sommertagszüge rund um den dritten Sonntag vor Ostern, Laetare, statt. In der Zeit um 1832 wurde der Sommertagszug dann sogar für einige Jahre verboten, da er mit dem Hambacher Fest in Verbindung gebracht wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Tradition in zahlreichen Gemeinden jedoch wieder eingeführt und die Veranstaltungen zunehmend mit neuen Inhalten gefüllt.

Instrumentalisiert

Während des 1. Weltkriegs fielen die Straßenzüge verstärkt aus. In der NS-Zeit nutzte das Regime die Züge für politische Zwecke. Der scheinbar „heidnische“ Brauch wurde propagiert. Nach 1945 verschwand die Traditionsveranstaltung dann in einigen Gemeinden völlig.

Video: Der Sommertagszug 2023 in Weinheim

Doch in den letzten 40 Jahren kehrte der Brauch in immer mehr Städte zurück. Heute veranstalten nicht nur zahlreiche Gemeinden, in den Städten sogar einzelne Stadtteile, jährlich ihren eigenen Sommertagszug. Allein in Heidelberg finden in zehn verschiedenen Stadtteilen Umzüge statt. An der Spitze des großen Zuges durch die Stadt am Neckar läuft stets ein historisch-prominentes Gesicht: Niemand Geringeres als Lieselotte von der Pfalz führt das bunte Treiben an. Oft gehören zu den Umzügen nicht nur ein Straßenzug durch die Stadt, sondern auch ein Bühnenprogramm vor oder nach dem Umzug.

Tänzerinnen_Rathaus Heidelberg_Sommertagszug

Tobias Schwedt/ Marketing Heidelberg

Der Sommertagszug in Heidelberg bietet immer ein Programm für die ganze Familie.

Schneemann muss brennen

Zu den Bräuchen während des Sommertagumzuges gehört auch fest einen großen Schneemann zu verbrennen. Für diesen traditionsreichen Akt werden oft bedeutende, zentrale Orte in der Stadt gewählt - etwa der Schlosshof in Bruchsal oder der Schlossgarten in Schwetzingen.

Hockenheim-Sommertagszug

Hockenheimer Marketing Verein

In Hockenheim wird der Winter verbrannt.
Brennender_Schneemann_Schlossgarten_Schwetzingen

dom

In Schwetzingen findet die Winterverbrennung traditionell im Schlossgarten statt.
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Über 3000 Teilnehmende

Der größte Sommertagszug findet jährlich in Weinheim an der Bergstraße statt. Hier lässt sich die Tradition bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts belegen: Damals zogen Kindergruppen durch die Stadt, sangen den Frühling an und wurden mit Eiern beschenkt. Heute sind in der Zweiburgenstadt die Schulen und Vereine auf der Straße, um gemeinsam den Winter zu vertreiben. 2002 konnte die Veranstaltung ihren 100. Geburtstag feiern. Insgesamt sind jährlich zwischen 2000 und 3000 Teilnehmende auf den Beinen.

Der Sommertagszug 2019 in Weinheim - mit Luftballon-Fühlern.

df

Der Sommertagszug in Weinheim ist der älteste von allen.
Der Weinheimer Sommertagszug 2019 - mit wandernden Blumentöpfen.

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Die Kinder schlüpfen in bunte Kostüme und verkörpern den nahenden Frühling.
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In den Wochen vor dem Sommertagszug wird an Schulen in Weinheim und anderswo eifrig gewerkelt, gemalt und gebastelt. Schließlich sollen auch die kleinsten Bewohner den Umzug mitgestalten. Auch erhalten Schulen und Kindergärten die traditionellen Sommertagsstecken. An den langen Stöcken aus Haselnussholz werden dann gleichmäßig mehrfarbige Stücke Glanzpapier befestigt. Von den Weinheimer Vereinen werden zu diesem Anlass meist große, farbenfrohe Wagen gestaltet. Im Anschluss an den Zug wird auch hier der riesige, weiße Schneemann symbolisch für den Winter auf dem Marktplatz verbrannt.

Heidelberg: Sommertagszug

Tobias Schwerdt/HD Marketing GmbH

Brezel, bunte Bänder, ein Ei und ein grüner Buchsbaumzweig: Die Sommertagsstecken symbolisieren den Frühling.
Heidelberg: Sommertagszug

Sabine Arndt/HD Marketing

In Heidelberg verteilt Liselotte von der Pfalz höchstselbst die Sommertagsbrezeln.
Sommertagsstecken_Bänder_Sommertagsbrezel

sb

Sommertagsstecken zählen zu den bekanntesten Symbolen der Sommertagszüge.
Sommertagsstecken_Sommertagszug_bunte_Bänder

lt

Sommertagsstecken gehören fast überall in der Kurpfalz zum Sommertagszug dazu.
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Sonne zum Reinbeißen

Eine der Traditionen zum Sommertagszug sind die Sommertagsbrezeln und -Stecken. Dabei handelt es sich um eine Brezel aus süßem Hefeteig, die auf einem geschmückten Stecken mit einem ausgeblasenen Ei als Sinnbild für Fruchtbarkeit befestigt ist. Geschmückt ist der Stecken meist mit bunten Papierbändern und einem Buchsbaumzweig, der das Grün des Frühlings verkörpert. Während des Zuges tragen ihn die Kinder – ähnlich wie die Laterne an St. Martin. Früher gehörte traditionell auch ein Apfel auf den Sommertagsstecken, als Symbol für den Sommer. Es ist auch kein Wunder, dass die Brezel sich meist auf der Spitze des Steckens befindet. Schließlich steht sie sinnbildlich für die Sonne.

Ein Lied darf auf keinen Fall fehlen, dessen Text von Ort zu Ort variieren kann:

Strih, Strah, Stroh,
Der Sommerdag is do.
Der Sommer und der Winter
Des sin Geschwisterkinder.
Sommerdag, stab aus
bloß dem Winter die Aage aus

Strih, Strah Stroh,
Der Sommerdag is do
Isch her die Schlissel klingle,
Was werre se uns dann bringe
Neuer Wein und Brezel drein,
Was noch dazu? Paar neie Schuh.

Strih Strah Stroh
Der Sommerdag is do
O du alter Stockfisch,
wann mer kummt, do hosch nix
Als e Schipp voll Kohle,
Der Kukuck soll disch hole.

Strih Strah Stroh,
Der Sommerdag is do.
Heit iwwers Johr,
Do simmer widder do.

Von Schuhen und Weinflaschen

Bei vielen Umzügen dürfen auch die sogenannten Butzen nicht fehlen. Bei diesen handelt es sich um überlebensgroße Figuren, passend zum Thema Frühling. Die Strohbutzen symbolisieren den scheidenen Winter, die grünen Tannenbutzen stehen für den nahenden Sommer. Sie werden teilweise mit Schuhen, Weinflaschen und Brezeln behangen und sollen beim Umzug auch nicht friedlich mitlaufen, sondern eigentlich auch mal aneinanderrempeln: Kampf Sommer gegen Winter also.

Schneemann_Personen_Menschen_Sommertagsstecken

csk

In Weinheim laufen die Butzen (hier links und rechts gut zu sehen) mit.

Aber warum Schuhe? Dies erinnert an einen Brauch aus vergangenen Tagen: In Heidelberg bekamen die Kinder zum Sommertagszug Schuhe – jetzt wo der Winter vorbei war und man die Stiefel in den Schrank stellen konnte. Und für die Eltern? Da gab es eine Flasche Wein. Da kann der Sommer kommen!